„Die Lebensmittelindustrie steht vor einem tiefgreifenden Wandel!“
Interview mit Thomas Wünsche, Industry Director Food & Beverage bei ANDRITZ Separation
Die Weltbevölkerung wird in den nächsten 20 Jahren um cirka zwei Milliarden Menschen zunehmen, womit enorme Herausforderungen bei der globalen Nahrungsmittelversorgung einhergehen. Noch dazu stellen gerade junge Verbraucher deutlich strengere Anforderungen an Nachhaltigkeit und Tierwohl. Wie der internationale Technologiekonzern ANDRITZ für die lebensmittelverarbeitende Industrie diese Transformation begleiten will, erläuterte Thomas Wünsche im Interview mit Wirtschaftsforum.
Wirtschaftsforum: Welche Themenfelder stehen dabei besonders im Fokus Ihrer Tätigkeit?
Thomas Wünsche: Das zentrale Ziel liegt in der Entwicklung von Prozesslösungen, die schneller hochwertige Proteine zur Versorgung der rasch zunehmenden Erdbevölkerung liefern. Die weltweite Abnahme an Agrar- und Weideflächen, ein immer stärker werdender Fokus auf das Tierwohl und Tierhaltung aber auch Ernteausfälle durch Dürren oder Überflutungen erfordern es nach alternativen Prozesslösungen zu suchen. Diese Prozesse müssen Proteine in kürzer Zeit bei geringerem Ressourceneinsatz liefern. Unabhängigkeit von Klimafaktoren, ein geringerer Landverbrauch neben reduziertem Einsatz von Energie und Wasser stehen dabei im Vordergrund und senken gleichzeitig die CO2 Emission. In diesem Zusammenhang befassen wir uns zum Beispiel mit Lösungen, die dazu beitragen, Food Waste zu minimieren und gleichzeitig die Herstellung gesundheitsfördernder Nahrungsmittel zu ermöglichen. Ein Beispiel dafür ist die Erzeugung von Proteinen auf alternativen Wegen, wie zum Beispiel durch die Verwendung von Larven.
Wirtschaftsforum: Gerade letzteres ist im öffentlichen Diskurs ein heißes Eisen.
Thomas Wünsche: Dabei wird jedoch die Dringlichkeit des weltweiten Proteinmangels verkannt – mit perspektivisch katastrophalen Folgen für die Menschheit, wenn wir nicht heute schon entschlossen gegensteuern. Denn die Weltbevölkerung wird nach Prognosen der WHO in den nächsten 20 Jahren um ungefähr zwei Milliarden Menschen wachsen, wobei sich dieser Bevölkerungszuwachs insbesondere auf die Länder der sogenannten Dritten Welt erstrecken wird – also die Regionen, in denen eine nachhaltige Nahrungsmittelsicherheit schon heute nicht ausreichend gewährleistet ist. Die Debatten, die wir in Europa über alternative Proteinquellen oder vegane Nahrungsmittel führen, gehen dabei vollkommen an der zentralen Problemstellung vorbei. Kürzlich habe ich längere Zeit in Nigeria verbracht – und es ist erstaunlich, wie viel weitreichender viele Innovationen in der Lebensmitteltechnologie dort bereits umgesetzt werden.
Wirtschaftsforum: Worin macht sich dies bemerkbar?
Thomas Wünsche: In Europa stehen wir vor einem Luxusproblem. Ein durchschnittlicher Mensch hat einen Bedarf von cirka 100 g Proteinen pro Tag. Wenn der Proteinpreis pro Kilogramm um einen EUR steigt, fällt das hierzulande niemandem auf. In Nigeria, wo das durchschnittliche Monatsgehalt vielleicht 100 EUR beträgt, ist ein solcher Preisanstieg jedoch ein existenzielles Problem. Tatsächlich haben sich die Lebensmittelpreise dort in einigen Bereichen in den letzten Jahren vervierfacht, während die Löhne nur um etwa 20% gestiegen sind. Um eine nachhaltig sichere Versorgung mit essentiellen Nahrungsmitteln sicherzustellen, ist also eine größtmögliche Effizienz unumgänglich. Auf der einen Seite muss die Effizienz der Verarbeitung und Valorisierung von Agrar-Produkten erhöht werden und die dabei produzierten Grundnahrungsmittel bei klimatischen Faktoren haltbar gemacht werden. Auf der anderen Seite stehen Mensch und Tier bei der Nutzung der Grundnahrungsbausteine im Wettbewerb. Die Verwendung von für den menschlichen Verzehr ungeeigneten Nährstoffe sollte bei der Tierernährung der Vorzug gegeben werden, gleichzeitig muss die sogenannte Conversion-Rate, also die Transformation von pflanzlichen in tierische Proteine, hinreichend optimiert werden. Genau an dieser Stelle können wir mit unserem Know-how zielgerichtet unterstützen.
Wirtschaftsforum: Impulse, von denen man auch in Europa lernen kann?
Thomas Wünsche: Gerade junge Verbraucher hinterfragen etablierte Ernährungsgewohnheiten und achten besonders stark auf Nachhaltigkeit und Tierwohl. Damit steht auch die hiesige lebensmittelverarbeitende Industrie vor einem tiefgreifenden Wandel – bei dem wir unsere Kunden als starker Partner begleiten wollen.
Wirtschaftsforum: Herr Wünsche, mit einem Jahresumsatz von über 8,6 Milliarden EUR tritt ANDRITZ als internationaler Technologiekonzern in verschiedensten Branchen auf – von der Papierindustrie bis zur Errichtung von Wasserkraftwerken. Wie fügt sich die von Ihnen verantwortete Food-and-Beverage-Sparte in den Gesamtkontext der Unternehmenstätigkeit ein?
Thomas Wünsche: ANDRITZ hat sich in den letzten 20 Jahren durch strategische Zukäufe, darunter auch Unternehmensbestandteile bekannter Marken wie Krauss-Maffei und Klöckner-Humboldt-Deutz, substanziell vergrößert. Inzwischen haben wir all diese Elemente erfolgreich unter dem Namen ANDRITZ konsolidiert und treten somit auch als eine kohärente Einheit im Markt auf – dies ist im Food-and-Beverage-Segment keine einfache Herausforderung gewesen, weil ANDRITZ bisher nicht primär mit diesem Wirtschaftszweig assoziiert wurde.
Mit einem Jahresumsatz von cirka 140 Millionen EUR stellt dieses Tätigkeitsfeld noch einen relativ kleinen Teil des gesamten Marktengagements unseres Unternehmens dar, auch wenn wir sehr deutliche Wachstumspotenziale für unsere Technologien erkennen und diese auch selbstbewusst verfolgen.
Wirtschaftsforum: Worin liegt dabei Ihre Kernkompetenz?
Thomas Wünsche: Im Food-and-Beverage-Segment tritt ANDRITZ als klassischer Maschinenbauer auf – wir liefern also Anlagen als funktionsfähige Grundeinheit aus. In unserer 170-jährigen Firmengeschichte entwickeln und implementieren wir seit Jahrzehnten Gesamtlösungen für die Lebensmittel- und Tierfutterindustrie und viele weitere Branchen. Zusätzlich wurde die Geschäftseinheit „Alternative Protein Solutions“ gegründet, die sich ausschließlich um gesamtheitliche Prozesslösungen für unsere Kunden befasst. Vor diesem Hintergrund haben wir erhebliche Investitionen in ein neues R&D-Zentrum getätigt, wo wir entsprechende Prozesse simulieren und validieren können, um auf dieser Basis anschließend passgenaue Anlagen für unsere Kunden herzustellen.